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Leoni Voegelin
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neueskino
Basel, 2018
Camera and production with Joanna Selinger
Welche Funktionalität birgt ein Raum, den sich eine Gesellschaft des Spektakels über ihren Wunsch zu konsumieren aneignet und der so auf einen Nicht-Ort reduziert wird? Es gilt die Illusion zu entzaubern, den Ort von seiner Funktion zu entbinden und die Materialität des Zeigens zu thematisieren.
Abstract_Vom funktionalen Raum Kino zur Materialität des Sichtbaren
Kinos sind sich in ihrer Raumgestaltung, in der Architektur und den vorhandenen Elementen ähnlich und werden austauschbar, da deren Inhalte einer Funktion untergeordnet sind. Dazu benötigt es jeweils die selben Voraussetzungen, vom Eingang über die Paratexte des Films (Werbebroschüren, Trailer etc.) bis hin zur Kasse, bei welcher man sich einer Identitätsprüfung (Studierendenausweis, AHV-Vergünstigung etc.) unterzieht, um anschliessend in der Allgemeinheit der Masse mit derselben Intention wie alle Anwesenden, zu verschwinden. Man geht ein in den Raum der Konsument_innen, von welchem man mittels Bar und Snacks im Foyer bis hin zu den roten Polstersesseln im Kino-Saal eingefangen wird. Die Subjekte verlieren ihre Individualität und nehmen die Rolle des auf das Rezeptionserlebnis wartenden Publikums ein, ebenso wie die anderen Zuschauer_innen, die sich mit im Saal befinden. Die Gemeinsamkeit des Wartens und Betrachtens lässt ihr Interesse am Gegenüber verschwinden, da sie alle gleich sind, in ihrem Wunsch zu konsumieren. Über einen hinter einer Wand verborgenen Projektionsapparat werden Bilder auf eine weisse Leinwand projiziert und das Publikum ist Willens, sich der Illusion, für welche es sich bewusst entschieden hat, hinzugeben. Durch den abgeschlossenen Raum, der verborgenen Produktionsweise und der damit ferngehaltenen Realität wird – einem platonischen Höhlengleichnis ähnlich – eine Situation der Illusion geschaffen. Die Gesellschaft des Spektakels, die sich ihrem Konsum hingibt und in einen narkoseartigen Schlaf verfallen ist, verkennt die Wünsche und Begierden des Kapitalismus als ihre eigenen, subjektiven Begehren. Ihr Alltag ist von Langeweile geprägt, dem sie durch Konsum Abhilfe leisten. Das Aufgehen der Wünsche in der Realität, im Alltag, einem Verschmelzen von Illusion, Kunst und Leben, ist nur durch das Aktivwerden der Subjekte und dem Wachrütteln derer aus ihrem tranceartigen Zustand möglich. Beginnend mit einer schwarzen Leinwand hört man bloss, was man nicht sieht. Diese Geräusche lösen die Bilder aus, die durch den nicht vorhandenen Kamerablick verwehrt bleiben. Die verschiedenen Elemente des Films setzten sich nach und nach zusammen. Mit Guy Debord’s Tonspur aus den ersten Minuten seines Films „Heurlement en faveur du Sade“, von 1952, etabliert die Tonspur die Sprache, setzt sie aus Lauten zusammen, und erzählt von der Geschichte des Kinos, der somit dem funktionalen Raum Kino seine Berechtigung verleiht. Durch die nostalgische Referenz wird der funktionale Raum mit den Polstersesseln und dem Popcorn überhaupt erst zum Kino, welches ganz dezidiert als solches wiedererkannt und wahrgenommen wird. Das Kino zeigt sich als ein Nicht-Ort, dessen physische Existenz nur seiner Funktionalität wegen geduldet wird. Das neue kino trägt diese funktionale Bestimmung in sich, jedoch erleben die Besucher_innen einen Moment der Irritation. Anders als bei den grossen MultiplexKinos ist die Funktionalität des Raumes nicht verborgen und verschleiert, sondern tritt in ihrer rohen Form den Konsument_innen entgegen. Eben dieser funktionalen Materialität – den Konditionen des Dispositivs Kino – wird im Verlauf des Films Schritt für Schritt folge geleistet, ohne die unausgesprochene Gesetzmässigkeit des Raumes zu verändern. Bis dann auf dem Höhepunkt des Spektakels, wenn sich das Publikum der Illusion der Projektion hingibt, die Leinwand in einem Schwall aus Buchstaben und gleissendem Licht zu zergehen scheint. Sie verglüht als Illusion, wie die moderne Grossstadt Paris in Isidore Isous Film, von 1951, sich als Lichtmetropole und Ausformulierung der Gesellschaft des Spektakels sowie des Konsums offenbart. Was dann geschieht, kann als Abschweifen bezeichnet werden; als Streifzug durch den Raum, der als solcher seine Existenzberechtigung hat. Im Sinne der Situationistischen Internationalen wird der (funktionale) Raum des Kinos zweckentfremdet. Nicht nur der
Raum, sondern auch die Kamera an sich wird hier neu eingesetzt, abseits ihrer eigentlichen Funktion ein Spektakel zu generieren und eine Fiktion aufrecht zu erhalten. Durch dieses Abschweifen und das dadurch ermöglichte, bewusste Wahrnehmen des Raumes wird die Materialität, die Funktion des Dispositivs Kino untergraben und der immer in der Gegenwart existierende Nicht-Ort wird zu einem Ort mit einer eigenen Zeitlichkeit, mit einer Vergangenheit und einer Gegenwart. Schritt für Schritt wird die glatte, unsichtbare Funktionalität des Kinos unterminiert; die Produktionssituation wird durch den Positionswechsel hinter den Apparat der Projektion sichtbar gemacht. Die abgeschlossene Illusion wird somit aufgebrochen und der Tätigkeitsprozess, die Akteure und die Projektions- sowie die Produktionsbedingungen werden aufgedeckt. Das Platonische Höhlengleichnis wird aufgebrochen, das Sich-der-Illusion-Hingeben und Sich-Abwenden-von-der-Realität ist gestört und kann nur durch die Integration der Illusion in die Realität überführt werden. Die Subjektivierung der Kamera und die etablierte sutur reisst ein, die Kamera verliert an Körper. Die Poesie und der Charakter des Ortes, des neuen kinos, wird losgelöst von seiner Funktion als Spielstätte für den Film, tritt in den Vordergrund und löst das Dispositiv Kino ab, verschmilzt mit diesem zu einem Ganzen aus gleichwertigen Teilen. Auch die Materialität des Zeigens, die Funktionalität des Films, wird in Frage gestellt. Entbunden von der Aufgabe zu zeigen und festzuhalten oder einen Standpunkt einzunehmen, ist die Kamera im Begriff ihrer Bestimmung zu entsagen. Die Tonspur ist nicht dem Sichtbaren untergeordnet und die Konstruktion des Films, als etwas Fabriziertes und nicht als Abbild der Wirklichkeit, wird deutlich. Der Ort des Films hat sich aufgelöst, ebenso wie sich nach und nach das Bild selbst aufzulösen droht, bis es nur noch schwarz bleibt. Als letztes löscht sich die Tonspur welche den Film als solchen infrage stellt.
Textdatei: neueskino
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